[19] Im Gericht und bei den Galinats
4. November
Letzten Dienstag hatte ich ein Telefoninterview, denn ich hatte mich für ein Praktikum im Kongress in Washington, DC beworben. Durch ein spezielles Programm wird jedes Jahr fünf PPPlern ein sechswöchiger Einblick in das amerikanische Parlament gegeben.
Leider kam heute die Nachricht, dass ich nicht für diese einmalige Gelegenheit ausgewählt worden war. Ich war ein ernstzunehmender Konkurrent für die anderen, aber am Ende reichte es nicht. Wenngleich das schade ist, freue ich mich aber auch, nicht aus Alabama scheiden zu müssen.
5. November
Vergangene Woche klopfte es eines Nachmittags an der Türe und eine Polizistin übergab mir eine Vorladung zum Gericht. Schock! Was hatte ich angestellt? Nachfragen und Lesen ergaben dann, dass ich lediglich als Zeuge geladen wurde. Angeklagter war der Dieb meines Fahrrads. Ihr erinnert euch, es war im September für etwa zwei Wochen weg (> [10], [11]).
Heute war dann der Gerichtstermin. Schnieke gekleidet und informiert, wie man sich in einem amerikanischen Gericht verhält, ging ich am frühen Abend in die Stadt. Ich hatte noch genügend Zeit, um vor dem Kreisgericht zu posieren, um dann festzustellen, dass ich ins Stadtgericht musste. Ups… 😀
Dort warteten dann schon einige Leute und es handelte sich nicht um einen Einzel-, sondern um den monatlichen Massenverhandlungtermin. Also saßen alle in einem Raum, die Richterin trat ein (wir mussten nicht aufstehen) und dann wurden nacheinander die Beschuldigten der Fälle nach vorne gerufen. Meist waren es Verkehrsdelikte, deren Strafen nicht bezahlt worden waren, meist waren die Schuldigen schwarz und meist wurden Ratenzahlungen ausgehandelt.
Irgendwann war dann auch mein Dieb dran und er bekam 100$ Strafe aufgebrummt plus rund 250$ Gerichtskosten. 😮 Ich saß dabei teilnahmslos weiter auf der Bank und beobachtete das Geschehen. Danach entschied ich mich, noch zu bleiben, auch wenn ich hätte gehen dürfen. Später fragte mich die Richterin, für was ich da sei und nachdem alle Fälle erledigt waren, rief sie mich zu sich und bat um Entschuldigung, dass ich eine Vorladung bekommen hätte.
Letztendlich war es unnötig, aber so habe ich eine tolle Geschichte zum erzählen.
7. November
Am Donnerstagabend fand eine stille Party statt. Es waren zwei DJs da, die gleichzeitig Musik machten. Jeder bekam am Eingang Kopfhörer und konnte nach Belieben der Mucke des einen oder des anderen DJ lauschen sowie jederzeit auf den anderen Kanal umschalten. Ich kannte zwar bereits das Prinzip, war aber noch nie auf einer solchen Party gewesen und ehrlich gesagt, hat diese Form jede Menge Vorteile:
- jeder kann das hören was er mag
- die Lautstärke kann sich jeder so einstellen, wie es einem passt
- für ein Gespäch muss man sich nicht anbrüllen, sondern nur die Kopfhörer absetzen
- es ist lustig, besonders wenn man die Kopfhörer abnimmt und alle in der Stille rumtanzen
9. November
Am Vormittag feierten wir Charlies zweiten Geburtstag. Der Saal im Gemeindehaus wurde geschmückt, es gab Kleinigkeiten zu essen, eine professionelle Torte, einen überbordenden Geschenktisch, eine Piñata zum Zerschlagen und alles war im Dinosaurierstil gehalten. Es waren mehr Erwachsene als Kinder anwesend, weil immer auch ein Elternteil der Kinder dabei war und Freunde von Megan kamen. Alles in allem ziemlich viel Aufwand für einen zweiten Geburtstag fand ich…
Nachmittags machten Stefan und ich mich auf den Weg nach Tuscaloosa, da unsere Collegekoordinatorin Ingrid uns für das Wochenende zu sich und ihrer Familie eingeladen hatte. Wir stromerten zu zweit erst noch ein wenig durch die Stadt, die im 19. Jahrhundert für 20 Jahre Alabamas Hauptstadt gewesen war.
An jenem Tag fand ein Footballspiel der Alabama Crimson Tide statt, weswegen rund ums Stadion alles zugeparkt war (das kann man wörtlich nehmen: Vorgärten, Parkplätze, Autoschalter, alles; oft gegen entsprechende Parkgebühren), und bei dem Präsident Trump anwesend war. Aufgrund letzterer Tatsache standen wir auf dem Hinweg etwa 15 Minuten im Stau, weil die Autobahn für seine Anfahrt gesperrt war. Dabei fuhren manche Autos auf dem Standstreifen an uns vorbei, was ein LKW durch das Blockieren desselben zu verhindern versuchte, aber dann fuhren weitere über den Grünstreifen darum herum, wofür fährt man hier schließlich Pick-Ups? 😀
Bevor wir bei Ingrid einkehrten spazierten wir noch eine Runde und genossen die letzten Sonnenstrahlen des Tages.
Wir aßen zu abend und besuchten einen Jahrmarkt, bei dem man nicht nur für die Fahrgeschäfte, sondern auch Eintritt blechen musste (dieses Prinzip kannt ich bislang nur aus meinem Computerspiel Roller Coaster Tycoon (Achterbahnmagnat)). Da es bitterkalt war drehten wir nur eine Runde, aber natürlich fuhren wir ein paar Fahrgeschäfte.
Leider eröffnete uns Ingrid an diesem Abend auch, dass sie zum Ende des Jahres gekündigt wurde, weil eine neue Leiterstelle im Bereich Internationales geschaffen wird. Das kam unerwartet und ist schade, denn ich mag sie. Es kam jetzt dann doch ein bisschen anders und sie kann in Teilzeit weiterarbeiten, aber sie erzählte uns auch, dass sie nicht ganz so zufrieden mit dem Arbeitsumfeld ist. Wir können jedoch glücklich und dankbar sein, dass wir sie hatten und noch haben!
10. November
Der Sonntag verlief relativ ruhig, mittags gingen wir auf einen Spielplatz mit einem großen Klettergerüst, wie eines am alten Bärenzwinger in der Friedrichsau steht. Stefan und ich turnten mit den drei Kindern herum, bevor wir nachmittags alle gemeinsam den Gottesdienst besuchten. Dann war das Wochenende leider auch schon wieder vorbei und wir kehrten heim.
12. November
Nachdem Ende letzter Woche die Motorkontrollleuchte angegangen war und ich schon sorgenvoll war, gab Stefan heute Entwarnung, es musste nichts repariert werden. Praktischerweise belegt er die Automobilkurse hier an der Uni und darf auch Autos von Freunden und Verwandten mit in die Werkstatt bringen.
Abends fand das internationale Thanksgivingessen in einem Nebenraum der Cafeteria statt. Nach dem köstlichen Mahl wurde sich noch unterhalten und ein ein Gruppenspiel gespielt.
14. November
Gegen Ende des Jahres musste natürlich eine neue „Miss UWA“ gewählt werden, die die Universität im neuen Jahr vertritt. Insgesamt sieben Kandidatinnen traten an und mussten sich in verschiedenen Disziplinen bewähren. Die meisten waren bereits im Vorhinein abgehalten worden und nur eine Handvoll fanden auf der Bühne statt. So wurde ihnen eine Frage zu einem aktuellen gesellschaftlichen Thema gestellt und sie sollten ihre Meinung dazu äußern, sie mussten eine kurze Darbietung vorführen (Tanz, Gesang, Comedy, etc.) und natürlich Schaulaufen.
Die aktuelle Miss UWA war natürlich ebenfalls anwesend, genauso wie der gekürte „Rising Star“ (eine Kinder-Miss) und die Miss Alabama, die durch den Abend führte. Zum Schluss hatte die Jury ihr Urteil gefällt und die Miss UWA 2020 wurde gekrönt und bejubelt. Sie erhält ein Stipendium und darf an den Miss-Alabama-Wahlen teilnehmen. Herzlichen Glückwunsch!
Auflösung zum Bild:
1871 wurde dieses Haus gebaut 😛 und das deutsche Kaiserreich gegründet