Ich war mir nicht so sicher, ob ich noch einen Blogeintrag schreiben soll, da die Sache ja jetzt eigentlich vorbei ist, allerdings hat mir das Schreiben unerwartet viel Spaß gemacht, sodass es jetzt hier noch etwas über die Abreise, den Kulturschock in Deutschland und ein bisschen was aus dem Leben eines Taugenichts/Arbeitslosen zu lesen gibt.
Also, was gibt es aus den letzten drei Tagen Olney/Robinson zu berichten?
Nachdem wir uns von ein paar Mitarbeitern bei Hershey’s verabschiedet haben, haben Meike, Selina und ich uns auf ein letztes Eis bei Dairy Queen (sowas wie Mc Donald’s, aber mit besserem/teurerem Eis) getroffen. Gleichzeitig habe ich schon mein wunderbares und doch bis auf einmal unerwartet treues Auto auf Facebook inseriert.
Danach ging es erstmal kurz nach Hause, und meine Gastomi war ganz verwundert, was ich denn so früh schon Zuhause mache. Obwohl wir uns erst so kurze Zeit kannten, war sie super traurig und hat sofort angefangen, mit mir zu weinen. Sie ist relativ alt und lebt mit den Katzen alleine im Haus, hat sich also sehr darüber gefreut, dass jemand da war und abends stundenlang mit ihr Kniffel und Rommé gespielt hat. Grüße gehen raus an meine Eltern – ich habe vorher in meinem Leben weder Kniffel noch Rommé gespielt. War also ganz schön peinlich, dass mir das erst erklärt werden musste.
Danach hab ich dann erstmal den 65km weiten Weg nach Olney auf mich genommen. Bei Nikolas gab’s dann erstmal ein Bierchen zu Mittag und eine letzte Runde Madden (wie Fifa, aber eben mit Football). Irgendwie hatte ich aber weder Durst, noch wollte ich ihn ein letztes mal besiegen. Draußen hat’s geregnet und gewittert und Alexa hat die traurigsten Lieder überhaupt gespielt. Plötzlich hat sich dann jemand auf mein Autoinserat gemeldet. Weil ich es ja wirklich unbedingt weghaben wollte, sind wir dann auch noch zu der Frau hingefahren. Sie wollte es nicht fahren, deshalb durfte ich sie durch die Gegend kutschen. Vor Aufregung oder Aufgelöstheit oder was auch immer bin ich dann, mit ihr auf dem Beifahrersitz, rückwärts gegen nen Strommast gefahren. Nikolas hat zugeguckt, und gemeint „Ich hab’s zwar kommen sehen, dass du jetzt dagegen fährst, aber eigentlich hab ich gedacht, so blöd kann man gar nicht sein“. Naja, die Delle sieht man kaum, und die Frau hat das Auto dann plötzlich doch nicht gewollt. Meine Gasteltern bleiben also drauf sitzen, bzw. ich bleibe drauf sitzen und muss hoffen, dass meine Gasteltern es bald verkaufen. Die Versicherung läuft weiter und kostet jeden Tag Geld, top.
Mein Leben in Olney habe ich in Form einer Bankvollmacht auch an meine Gastfamilie abdrücken können. Doof kam ich mir dabei schon vor, schließlich bin ich zwei Tage vorher erst ausgezogen.
Am nächsten Tag durfte ich dann meine Hershey-Uniformen zurückbringen. War ein komisches Gefühl, plötzlich nur noch als Gast und nur in Begleitung das Gebäude betreten zu dürfen. Ein Abschiedsgeschenk gab es aber schon am Tag davor. Ganz viel verschiedene Schoki! Und ein Weihnachtspaket wird es vermutlich auch geben – falls Weihnachten dieses Jahr nicht auch ins Wasser fällt wie ungefähr alles andere. Danach habe ich Auto sauber gemacht (so gut das eben geht – habe ich davor noch nie gemacht, war aber eh hoffnungslos) und habe Sachen aussortiert, die nicht in meinen Koffer passen. Die habe ich dann zum Second-Hand Laden gebracht. Außerdem war ich noch bei Carli, die mir das Olney Nightlife, amerikanische Tanzmusik und den American Way of Life versucht hat, näherzubringen. Ein letztes Mal Dosenstechen stand also auf dem Plan, aber ich hab kläglich versagt. Die baut gerade mit ihrem Boy ein Haus um, sie hätten mich also verstecken können, wenn ich das denn gewollt hätte. Danach bin ich dann zum letzten Mal Auto in den USA gefahren.
Ich hätte niemals erwartet, dass das Auto und ich das solange schaffen, aber wir sind tatsächlich knapp 20000km in ungefähr nem halben Jahr gefahren. Und es waren sooooo viele mehr geplant! Ich hätte niemals gedacht, dass ich das mal sage, aber Automatik ist schon cool.
Das Auto habe ich dann also zum letzten mal bei meiner Gastfamilie in Olney abgestellt, und denen Schlüssel und alle Papiere übergeben. Freundlicherweise durfte ich noch einmal bei ihnen schlafen, denn für den Tag war eine letzte Lake-Party geplant. Den ganzen Sommer haben wir am East Fork Lake, an dem Moritz, Nikolas und ich gewohnt haben, verbracht. Fast jeden Tag gab’s ein paar Dosen Budweiser am See und dort sind wir auch ganz am Anfang am ungefähr billigsten Schnaps, den es im Liquor Store zu kaufen gab, mal fast gestorben. Für das Lagerfeuer bei Momos Gastfamilie hatte ich also nochmal den leckeren 99 Proof Bananenschnaps von ganz vom Anfang gekauft. Trinken wollte den keiner, aber man kann doch nicht einfach abdanken ohne eine letzte Nahtoderfahrung. Danach habe ich dann ein letztes mal meine Füße bei 4 Grad Umgebungstemperatur im See gebadet (eigentlich wollte ich reinspringen, aber es wollte keiner mitmachen). Am nächsten Morgen hat mich meine Gastmutter dann nach Robinson gefahren, denn das Auto musste ja dort bleiben, sodass sie es verkaufen können.
Gastomi und ich waren dann noch Mittagessen, einkaufen und Abendessen. Das Einkaufen war ziemlich komisch. Walmart, für mich der Inbegriff des unbegrenzten Einkaufens, war anders. Die Gefriertruhen waren ziemlich leer, es gab kein Wasser mehr und Klopapier war natürlich auch leer. Ziemlich beängstigend. Abends gab es dann die letzte Runde Kniffel und Rommé, und Gastomi hat ein letztes Mal meine Klamotten gewaschen. Was ein Service, das musste ich die letzten Monate ja immer selbst machen.
Am nächsten Morgen hat mich dann Momo mit seinem Gasteltern abgeholt, um zum Flughafen in Indianapolis zu fahren. War ein dicker Cadillac. Ich vermute mal, dass alle Autos zusammen, die ich in diesem Leben besitzen werde, nicht den Wert dieses Autos übersteigen werden. Aber das ist ok, ich mein, wer braucht schon eine Kamera/Bildschirm anstatt einem Rückspiegel? In diesem feinen Schlitten gab es dann auch das letzte kühle Dosenbier. Alkohol im Auto trinken ist verboten in den USA, aber was wollen sie machen? Uns aus dem Land werfen? Ha. Ha. Ha.
Die Leute aus Olney, Robinson und Mt Carmel sind alle zusammen heimgeflogen, Gasteltern und Germans konnten also zusammen heulen und waren nicht alleine. Nach ungefähr zwei Stunden Flug waren wir dann schon in New York City. Dort haben wir dann die Programmverantwortlichen getroffen, die uns aber auch nicht wirklich aufmuntern konnten. Die Stimmung am Flughafen allgemein war komisch. Bei jedem Hüsterchen wurde sich zwar erschrocken umgedreht, Abstand wurde aber nirgends gehalten. Die letzten Chicken Wings gab es dann auch noch (und einen Margarita für 19$ – stand kein Preis in der Speisekarte), serviert von jemandem mit Taucherbrille auf, der nicht mal den Ausweis sehen wollte. Bei anderen Restaurants und Läden sah alles aus, wie immer. Gemischte Gefühle also. Bei der Handgepäckskontrolle wurde zum zweiten Mal an diesem Tag mein bis auf den letzten Millimeter ausgefüllten Rucksack genauer unter die Lupe genommen. JEDER Schokoriegel wurde genau inspiziert, keine Ahnung warum. Richtig zubekommen hat den Rucksack dann aber keiner wieder. Ganz toll.
Im Flugzeug nach Hause war dann nach kurzer Zeit ein Platz neben mir frei (nein, ich habe vorher geduscht), und ich konnte mich hinlegen und einfach schlafen. Keine Ahnung, wieso ich so müde war. Neben mir auf dem Gang haben sich die Leute scheinbar ziemlich betrunken, aber das hab ich erst am nächsten Morgen gegen 6 Uhr mitbekommen. Wie sich mittlerweile herausgestellt hat, war es scheinbar gut, dass ich 6 Stunden lang mit dem sich knapp 8 mal wiederholenden Bruce Springsteen Album geschlafen habe, denn ganz so viel Jetlag hatte ich die nächsten Tage dann nicht.
Nachdem ich dann meine ungefähr 65kg Gepäck wieder beisammen hatte, gab’s in Frankfurt am Flughafen noch ne kurze Ansprache von den Programmverantwortlichen von der deutschen Seite des Austauschprogramms. Während ich andere dabei beobachtet haben, wie sie sich die von ihren Eltern mitgebrachte Fleischwurst in den Schlund gestopft haben, habe ich sehnlichst darauf gewartet, dass mein Schwester endlich kommt, denn ich hatte Flaschenbier bestellt. Kann man mal machen, morgens um 10. Gab’s dann allerdings erst im Auto.
Da meine Eltern zu den Menschen gehören, die ein erhöhtes Risiko haben, schlimm am Corona-Virus zu erkranken, musste also eine Alternative zum OUB gefunden werden. Schließlich will ich ja niemanden umbringen. Freundlicherweise durfte ich bei meiner Schwester unterkommen. Mit ihr habe ich mir dann für fast zwei Wochen ein schuhkartongroßes WG-Zimmer geteilt. Social Distancing war nicht so auf 8qm. Im großen und ganzen ging die Zeit dann aber doch relativ schnell und friedlich um. Ich habe fast jeden Tag zu Fuß Darmstadt erkundet, und nach anfänglichen Orientierungsproblemen kann man mich mittlerweile bestimmt fast als „local“ bezeichnen. Restaurants und Kneipen konnte ich allerdings keine testen.
Irgendwann wars dann aber auch genug des Guten, und ich wurde von einer Freundin, die ein Tag vorm Einreisebann noch in die USA gekommen ist, und die erstmal an der Westküste war, bevor es in der ersten Aprilwoche in den beautiful Midwest gehen sollte, abgeholt. Zwei Wochen Quarantäne waren also eigentlich umsonst, denn sie kam gerade erst aus Kalifornien. Aber das ist eh egal, denn Zuhause wurde ich zwar draußen von den Eltern empfangen, in ihrer Nähe wollen sie mich aber dennoch noch nicht haben. So lebe ich jetzt also alleine auf nem Stockwerk vor mich hin, bekomme WhatsApp-Nachrichten, wenn mein Essen abholbereit auf der Treppe steht, schaue RTL2 den ganzen Tag (nein, das wird nie langweilig, irgendwann fühlt man sich dabei bestimmt auch wohl), werde einkaufen geschickt, und gehe ab und zu mal raus, denn da kann ich dann mit Abstand mit meinen Eltern reden. Manchmal funktioniert das Wlan nicht so wie gewollt, auf TripAdvisor würde es aber trotzdem 5 Sterne für die Behausung geben.
Klingt alles nicht so nice, aber ich würde behaupten, es gibt Milliarden Menschen auf dieser Erde, denen es gerade schlechter geht.
Was ich aus den USA mitgenommen oder gelernt habe:
- 7kg Gewicht
- +20kg Gepäck (keine Ahnung wo das herkommt, gekauft hab ich eigentlich net so viel)
- Mehr als 15000 Fotos – könnte ich ja mal aussortieren, aber ich komm mit meinem Laptop nicht klar
- Ich bin kein Schnäuber mehr und esse jetzt fast alles – (vielleicht darf ich deswegen nicht in die Küche, weil die Eltern Angst haben, dass ich alles leer esse)
- zwei ugly Christmas Sweater
- Ich hasse Apple, weiß nicht, wie ich mir das kaufen konnte (will bitte jemand mein Macbook kaufen)
- Ich mag Margarita nicht nur als Beschreibung für Pizzen (ja, das wird als Pizza anders geschrieben, aber das ist der Witz)
- Eine Autoversicherung, die jeden Tag 5$ kostet, bis das Auto endlich verkauft wird
- Das Risiko, bald den Führerschein abgenommen zu bekommen (Alkohollimit in IL: 0,8 Promille, egal ob Unfall oder nicht; rechts überholen ist ok; mit nem Tempomat durch die Gegend fahren spart Knöllchen; rechts abbiegen bei roter Ampel ist ok)
- Ich bin mehr Hundemensch als Katzenmensch
- Unverständnis, denn die finden den orangefarbigen weltfremden Präsidenten tatsächlich gut
- Ich habe das Autofahren verlernt, und hab wahrscheinlich schon die Kupplung durch – genickt wird auch bei jedem Schalten
- Leider habe ich weder die Liebe meines Lebens kennengelernt, noch Gitarre oder Skateboard fahren gelernt
- Budweiser-Hassliebe
- Vier Geldkärtchen und auf keinem was drauf
- Auf den billigen Plätzen sind die netteren Leute
- Ich habe vielleicht doch die eine oder andere ganz coole Socke kennengelernt
- Mein Musikgeschmack hat sich geändert bzw. erweitert, vermutlich sehr zum Leidwesen meiner zukünftigen Beifahrer (jetzt gibt’s neben krassem 90er Rock und Punk auch noch 70’s und 80’s Mukke, es gibt aktuell keinen Tag ohne Def Leppard, Van Halen, Boston, ZZ Top und Lynyrd Skynyrd – und außerdem gefällt mir Redneck Country-Musik sehr gut, kann nicht verstehen, wie „beer never broke my heart“ hier nicht im Radio läuft)
- Eine 4.0 (bzw. in Deutschland halt 1.0) in meinen mehr oder eher weniger anspruchsvollen College-Kursen
- Ich hatte vier verschiedene Jobs – einer war mehr oder weniger illegal, hat aber fast am meisten Spaß gemacht
- Ich habe 7 Tickets für das Baseball-Spiel der St. Louis Cardinals am 20. April gegen die Cincinnati Reds, was aber auf unbestimmte Zeit verschoben wurde (jemand Interesse?)
- Ich gedenke zu wissen, wer JFK getötet hat (treue Leser werden wissen, worum es geht haha)
- Ich hab gesehen, wie Schokoriegel hergestellt werden
- Ich habe ein Eichhörnchen auf dem Gewissen
- Hab gesehen, wie Wein hergestellt wird (dafür hätte ich wahrscheinlich nicht nach Amerika gemusst)
- Ich habe in 7 Monaten mehr gesehen als in den 21 Jahren davor
- God has a reason
- Es gibt soooo viel mehr als Mc Donald’s (andere Fast Food Restaurants, keine Sorge)
- (Post-)Karten sind sooooo cool!
- Vielleicht sollte man sein Auto doch mal in die Werkstatt bringen, wenn es deutlich darauf hinweist, dass es nicht mehr lange durchhält
- Der Schein trügt
- Fußball ist cooler als Football, da weiß man wenigstens, wann’s zu Ende ist, aber Football ist geselliger
- Unzählige einmalige Momente, die ich nicht mehr missen möchte
- Noch schlechtere Zähne als vorher
- Ist zwar cool, wenn die Eltern alles für einen regeln und bezahlen, aber ist auch cool, wenn man das selbst schafft
- Mit einem Schlag können Querlenker, Spurstange, Radlager und Antriebswelle kurz sein
- Ich habe Bourbon mit hergebracht, den ich zu Weihnachten geschenkt bekommen habe, weil ich dachte, es sei was besonderes – gibt es hier aber im Lidl für kleines Geld
- Bin froh, dass in Deutschland der Sozialstaat, von dem ich gerade lebe, existiert
- Ich kann jetzt Kniffel und Rommé spielen
- Tausend Schokolade von Hershey’s
- In meinem nächsten Leben mache ich ein High-School-Auslandsjahr
- Das beste Chicken-Wing-Rezept ever
- Ich bekomme täglich Mails von „Trump“ die mich dazu auffordern, Geld zu spenden – die Mails sind ungefähr so seriös geschrieben wie dieser Blog hier
- Bin jetzt scheinbar allergisch gegen Wespen, vielleicht aber auch nur gegen amerikanische?
- Ungestillten Brothunger und Bierdurst, einfach weil es hier so viel besser schmeckt
- Leider keinen krassen Redneck-Akzent
- Ich habe zwei Autos. Eins steht 5000 Meilen weit weg, angemeldet und versichert – das andere steht quasi neben mir, nicht angemeldet und nicht versichert
- War in ein paar der coolsten Museen der Welt
- Bin froh, dass ich mein ganzes Geld schon am Anfang ausgegeben habe – jetzt würde ich mich nur ärgern, dass ich umsonst gespart habe und weil ich ohne viel gesehen zu haben wieder heim müsste
- Den meisten Vorurteilen kann ich leider nicht widersprechen
- Money doesn’t buy happiness, you only need gas in your car
- Ich weiß, wo ich im nächsten USA-Urlaub hinwill und wo nicht
- Von August bis Dezember hab ich Corona eigentlich gemocht
- Ich bin ein Instagram-Opfer geworden und poste viel zu viel Kack
- Gegen Deutsche könnte ich eventuell im Dosenstechen gewinnen
- Bin in Dallas’ und Texas’ Innenstädten rumgefahren, die zu den größten Städten Amerikas gehören.. um dahin zu kommen gab es mehrere 8-spurige Straßen, und eigentlich bin ich schon überfordert, sobald der Gegenverkehr ne eigene Spur hat und ich nicht neben ran fahren muss
- Erstmal Perspektivlosigkeit, aber wird sich mit der Zeit bestimmt geben
Wie auch immer. War ne coole Zeit und ich würd’s immer wieder machen. Over and out.